Barbara Hoidn (Hg.): „Demo:Polis — Das Recht auf Öffentlichen Raum“
Am: | April 19, 2016
Kürzlich ging ich mit meiner Kamera auf der Hochterrasse hinter dem neuen Bikini-Haus in Berlin spazieren und fotografierte. Schon nach wenigen Augenblicken trat ein freundlicher Mann in einem dunklen Anzug an mich heran, gab sich als Security zu erkennen und bat mich, das Fotografieren zu unterlassen. Es stellte sich heraus, dass die von der Straße frei zugängliche Terrasse kein öffentlicher Raum, sondern Privatgelände ist, auf dem das Hausrecht des Eigentümers gilt und nicht das öffentliche.
Dieses Beispiel zeigt, dass der öffentliche Raum längst nicht mehr überall und für jedermann verfügbar ist, auch wenn keine Schilder auf diesen Sachverhalt ausdrücklich hinweisen. Was für den Fotografen schnell zu einer handgreiflichen und nachhaltigen Erkenntnis werden kann, ist für den normalen Fußgänger oft nicht so leicht zu erkennen.
Geht man in London an der Themse entlang, so fallen die vielen Hinweisschilder auf, die mit „Private Public Property“ beschriftet sind. Hier ist längst Normalität, was in unseren Städten zwar noch die Ausnahme ist, aber immer mehr zunimmt: der Verlust an öffentlichen Räumen zugunsten einer eingeschränkten und meist nur unter öffentlichem Druck gewährten Zugänglichkeit in Absprache mit dem Privateigentümer des Grundstücks.
Mit den verschiedenen Aspekten und Fragen zum Öffentlichen Raum beschäftigt sich nicht nur eine aktuelle Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste, sondern auch ein korrespondierender Katalog zur Ausstellung. Während die Ausstellung vor allem die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Phänomen des öffentlichen Raums präsentiert, versucht der Katalog in erster Linie die politischen und gesellschaftlichen Aspekte der Raumordnungen und -nutzungen zu beleuchten.
In ihrem Anspruch, allen Positionen und künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten gerecht zu werden, scheinen sich die Ausstellungsmacher etwas überhoben zu haben; die Ausstellung wirkt seltsam unstrukturiert und bedürfte einer kompetenten Führung durch entsprechendes Personal, das aber nur selten vor Ort ist. Ganz anders jedoch wird der Katalog dem selbstgesetzten Anspruch gerecht, anhand von konkreten Beispielen aus aller Welt aufzuzeigen, was der städtische öffentliche Raum ist, was er sein und wie man ihn gestalten kann. So sollte jedem Ausstellungsbesuch zunächst die eingehende Lektüre dieses Buches vorangehen, um den aus-und vorgestellten Projekten mit einem entsprechenden Vorwissen gegenüber zu treten.
Der Begriff Demo:Polis versucht die Verbindung von „Volk“, von Öffentlichkeit, und dem Stadtraum deutlich zu machen, die im Grunde schon immer eine auf Macht basierende war. Wer die Macht hatte, herrschte über den Raum — und umgekehrt: Wer über den Raum herrschte, besaß und besitzt die Macht. Der „öffentliche Raum“ als ein originär allen gehörender Möglichkeitsraum ist jedoch inzwischen nicht nur zu einem bedrohten Pflänzchen geworden, sondern auch zu einem Politikum. Was ursprünglich einmal allen gehörte — oder besser: niemandem gehören konnte —, wurde durch die Schaffung der Möglichkeit des Erwerbs von Eigentum zu einem begehrten Wert.
In dem Moment, wo ein allgemein und überall verfügbares Gut dem Verknappungsprozess kapitalistischer Waren-Ideologie unterworfen wird, wird es zu einer begehrten Ware, deren Preis nur einen Weg kennt: den nach oben. Was dem Zugang der Allgemeinheit durch Privatbesitz entzogen ist, muss durch Gesetze und Mauern geschützt werden. Umbauter Raum ist privater Raum, ist ein für die Öffentlichkeit in der Regel verlorener Raum.
Das neoliberale Denken im Zeichen der Globalisierung geht jedoch noch einen Schritt weiter und kennt auch hier kein Ende. Straßen, Plätze, Versorgungswege werden zu privaten Investitionsobjekten. Die anglo-amerikanischen Märkte geben hier die Richtung vor, nach der sich die internationale Wirtschaftswelt zu richten hat. Die Zeichen stehen seit langem auf Privatisierung, und diese Tendenz macht auch vor den Stadträumen nicht Halt.
Doch es gibt auch Gegenbewegungen. Die Initiative „100 % Tempelhof“ hat es geschafft, das Tempelhofer Feld und die Anlagen des ehemaligen innerstädtischen Flughafens Tempelhof in Berlin zurück in den Öffentlichen Raum zu transformieren und auf diese Weise ein riesiges Areal für die freie Nutzung aller Berliner zu erschließen. Was ursprünglich durch eine geplante Randbebauung in seiner Gesamtfläche deutlich verringert werden sollte, liegt nun in voller Größe als Brachfläche mitten in der Stadt zur Verfügung und bleibt dauerhaft öffentlicher Raum. Die Verhinderung von Baumaßnahmen führt aber auch zu einem Stillstand in der Bewirtschaftung der riesigen Flächen und damit zu einer Verwahrlosung des Geländes; das ist die Kehrseite dieser an sich guten Idee einer allgemeinen und öffentlichen Nutzung des Areals.
Die Essays des begleitenden Katalogs beleuchten das Phänomen des Öffentlichen Raums aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Fragen der Kunst, der Virtualität und Realität des städtischen Raumes und seiner Nutzung, die Partizipation als Instrument der öffentlichen Beratung, die Poesie des Raumes — das sind nur einige Beispiele der vielschichtigen und stets an konkreten Räumen und Projekten angelehnten Essays des ersten Teils. Im zweiten Abschnitt geht es um den Kampf um die Rechte, um Kunstaktionen sowie um Gestaltungs- und Nutzungskonzepte.
Das grundlegende Problem der Neoliberalisierung und der Beschneidung von Grund-, Aufenthalts- und Bewegungsrechten wird im darauffolgenden Abschnitt ebenso analysiert wie die international entstehenden Demokratisierungsbewegungen. Überhaupt ist die Internationalität der stadtplanerischen und architektonischen Aktionsgruppen einer der zentralen Angelpunkte jener sich neuformierenden Gruppen zur Rückgewinnung und Erschließung des Öffentlichen Raumes. Die Beispiele aus dem Berliner Stadtzentrum (Alexanderplatz und Ackerstraße) zeigen anschaulich, wie Stadtkonzepte aus einer öffentlichen Diskussion entstehen und sich formen können.
Der vorliegende Katalog ist durchgehend farbig illustriert und zeichnet sich zum einen durch eine gute Lesbarkeit und zum anderen durch eine kompetente Aufbereitung bereits existierender Stadtkonzepte zum Öffentlichen Raum aus. Der Leser erhält also einen umfassenden Überblick zum internationalen Status Quo der Diskussion um den „urban space“ und seine Nutzung. Er bietet eine spannende und aktuelle Lektüre und macht Lust auf die Beteiligung an den öffentlichen Diskussionen um die immer wieder zu stellende Frage: „Wem gehört die Stadt?“.
Autor: Barbara Hoidn (Hg.)
Titel: „Demo:Polis — Das Recht auf Öffentlichen Raum“
Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
Verlag: Park Books
ISBN-10: 3038600040
ISBN-13: 978-3038600046
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