Umberto Eco: „Bekenntnisse eines jungen Schriftstellers“
Am: | Februar 9, 2016
Als Umberto Eco seinen Weltbestseller „Der Name der Rose“ schrieb, war er bereits 57 Jahre alt. Da war er also älter als ich, und das alleine ist schon erstaunlich. Umberto Ecos eigentliches Interesse galt und gilt in erster Linie der Semiotik, der Zeichenlehre; er lehrte viele Jahre an der Universität Bologna hat lange Zeit gebraucht, bis er – bildlich gesprochen – zum ersten Mal die Seiten wechselte und sich als Schriftsteller betätigte. Dass „Der Name der Rose“ sogleich zu einem Welterfolg werden würde, hatte niemand geahnt, am wenigsten er selbst. Der Roman war lediglich die konsequente Weiterführung seiner Beschäftigung mit jenen Themen, die ihn seit seiner Jugend in den Bann zogen: der Mediävistik und eben der Semiotik.
In dem kleinen Büchlein „Bekenntnisse eines jungen Schriftstellers“ gibt Eco Auskunft über seine schriftstellerische Tätigkeit, über den komplexen Entstehungsprozess seiner bekanntesten Romane — „Der Name der Rose“, „Das Foucaultsche Pendel“, „Die Insel des vorigen Tages“ und „Baudolino“.
Der Leser erfährt, wie es zu jenem Plot kam, der sich in einem abgelegenen Kloster zuträgt; welche Bedeutung die Namen der fiktiven Personen haben; wie sich Eco immer wieder erklären muss, wenn ihn Leser nach den realen Orten seiner Geschichten fragen usw. Es ist ein Blick hinter die Kulissen — oder besser: in die Schreibstube des Autors.
Die in diesem Band versammelten Texte sind aus Umberto Ecos Beitrag zu den Richard Ellmann Lectures in Modern Literature entstanden, die regelmäßig mit bedeutenden Schriftstellern veranstaltet werden. Diese Vorlesungsreihe legt großen Wert auf die Authentizität und Subjektivität der von den Autoren vorgetragenen Inhalte. Der Zuhörer soll einen einzigartigen Einblick in die schriftstellerische Arbeit bekommen, die ihm ansonsten in der Regel nicht zugänglich ist. Umberto Eco nimmt diese Vorgabe wörtlich und gibt freimütig Auskunft über seine Arbeit.
So beschäftigt er sich nicht nur mit den konkreten Fragen des Schreibprozesses, sondern auch um das komplexe Verhältnis von Autor, Text und Interpretation. Wie könnte es für einen Semiotiker auch anders sein! Der Leser wird mit den Grundregeln des Strukturalismus vertraut gemacht; das semiotische Dreieck (Signifikant, Signifikat und Referent) kommt gleich mehrfach zur Anwendung, und die Frage nach den verschiedenen Bedeutungsebenen eines Textes wird leicht verständlich beantwortet.
Es ist eine Besonderheit fiktiver Personen, wie Anna Karenina, Superman oder Leopold Bloom, dass wir von ihnen sprechen, als ob sie real seien. In der Tat sind sie sogar ein ganzes Stück realer als reale Personen, was eigentlich paradox ist, aber ganz leicht zu beweisen ist: Alles, was wir beispielsweise über Anna Karenina wissen müssen, steht in Tolstois Roman. Es ist eine in sich abgeschlossene, hermetische Text-Welt, die weder angezweifelt werden kann, noch einer externen Beweisführung bedarf. So können wir jederzeit genau wissen, wer Anna Karenina ist, was sie denkt und fühlt, wie sie handelt und welches Schicksal für sie bestimmt ist. – All dies können wir von einer real existierenden Person, wie z.B. unserem Partner, nicht sagen. Er/sie ist eben keine Person in einem abgeschlossenen Text, einem Roman oder einer Erzählung, sondern ein Mensch im realen Leben. Sein/ihr Leben ist derart komplex und unserem Wissen nicht zugänglich, dass wir ihn/sie niemals vollständig ergründen können. Wer weiß schon, was der Andere denkt, fühlt und beabsichtigt, wenn er/sie uns nicht darüber unterrichtet?! — Derartige Fragen und Paradoxien behandelt Umberto Eco in seinen „Bemerkungen über fiktive Personen“.
Der letzte Abschnitt dieses in den meisten Teilen gut lesbaren und leicht verständlichen Buches befasst sich mit den „Listen“, die Eco im Laufe seiner Beschäftigung mit den verschiedensten Themen anlegte. In der tat sind „Listen“ zu einem Markenzeichen Ecos geworden; so präsentiert er auch in seinem reich illustrierten Buch über die „Unendliche Liste“ (2011 erschienen bei dtv) eine Vielzahl von Dingen und Artefakten, die er nach eigenen Kriterien kategorisiert und in Listen zusammenfasst. Wie nicht anders zu erwarten, ist auch dieses Buch schnell zu einem Bestseller geworden.
„Bekenntnisse eines jungen Schriftstellers“ sind ein guter Einstieg in die Welt von Umberto Eco. Das Buch verbindet nämlich auf leichte Weise die beiden Seiten seines Oeuvres: die Semiotik und die Poetik. Auf diese Weise ist es nicht nur für angehende Schriftsteller interessant, sondern für jeden, der sich über die Bedeutung von Zeichen in unserer visuell dominierten Welt Gedanken macht und hierbei auch unkonventionelle Zugänge nicht scheut.
Autor: Umberto Eco
Titel: „Bekenntnisse eines jungen Schriftstellers“
Taschenbuch: 208 Seiten
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
ISBN-10: 3423348720
ISBN-13: 978-3423348720
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