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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Walter Siebel: Die Kultur der Stadt

Am: | November 13, 2015

Hurra, die Stadtsoziologie und die Kulturwissenschaften haben eine neue Bibel! Walter Siebel, der als emeritierter Professor für Soziologie an der Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg lehrt, hat ein weiteres Standardwerk geschrieben, das die Kulturalität der Stadt in ihrer Komplexität zu fassen und somit den aktuellen Forschungsstand der kulturwissenschaftlichen und soziologischen Disziplinen abzubilden versucht.

Nun, was soll man sagen? Es ist ihm nicht nur gelungen, diesen hochkomplexen Gegenstand Stadt in seiner gegenwärtigen Ausprägung darzustellen, sondern darüber hinaus die vielschichtigen Verbindungen von Stadt und Stadtraum mit den kulturellen Aspekten ihrer Gestaltung zu korrelieren. Was dabei herausgekommen ist, darf zurecht als eine weitere bedeutende stadtsoziologische Publikation gelten. Siebel, der auf eine lange Reihe von Veröffentlichungen zurückblicken kann, hat sich seit jeher mit dem Phänomen Stadt beschäftigt, hat u. a. ein Lehrbuch zur Stadtsoziologie zusammen mit dem 2011 verstorbenen Stadtsoziologen Hartmut Häußermann geschrieben und gilt selbst als einer der wichtigsten Stadtsoziologen unserer Zeit.

Dem Kollegen und Freund Hartmut Häußermann ist auch dieses neue Buch gewidmet. Häußermann, der lange Jahre an der HU Berlin lehrte, und die ihm in ihrem Nachruf als einen der bekanntesten Stadtsoziologen bezeichnete. Über die reine universitäre Lehre hinaus nutzte er seine einzigartige öffentliche Präsenz als Wissenschaftler um die Themen, Fragen und Erkenntnisse der Stadtforschung in das Feld der angewandten Stadtpolitik zu tragen. Mit seinem unermüdlichen Engagement hat er die stadtpolitischen Diskussionen insbesondere in Berlin über Jahrzehnte in hohem Maße geprägt und uns stets daran erinnert, dass Stadtentwicklung nicht losgelöst von sozialen Fragen betrachtet werden kann.

Dasselbe könnte man auch von Walter Siebel sagen, wenn auch nicht in Bezug auf Berlin. Siebel ist seit vielen Jahren im Beirat des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen tätig und kennt somit auch die Stadtpolitik aus erster Hand. Überhaupt scheint jene enge Verknüpfung von Forschung und Lehre mit den realpolitischen Anforderungen, die an die Politik gestellt werden, die Besonderheit der stadtsoziologischen Arbeit besonders treffend zu charakterisieren. Stadtsoziologie ist kein Fach für den Elfenbeinturm, sondern handfeste wissenschaftliche Arbeit im und am öffentlichen Stadtraum.

So verstanden, ist sie gleichzeitig Kulturarbeit sowie ein Stück gelebter Urbanität. Siebels Buch versucht eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Stadtkultur. Er diagnostiziert eine Umbruchsituation, in der die bürgerliche Stadt, wie wir sie seit langem kennen, von neuen Formen abgelöst zu werden scheint, die ein stärkeres Gewicht auf die Pluralität legen. Die Pluralisierung der Stadtkultur, die Kultivierung der Ökonomie und die Ökonomisierung der Kultur – jene wechselseitigen Austauschprozesse sind charakteristisch für jenen Lebensraum, den wir Stadt nennen und der sich heute mehr denn je in einer ungekannten Komplexität ausformt und funktional differenziert.

Ist es überhaupt noch möglich, dieses Gebilde der Stadt gedanklich zu fassen und als ein kohärentes System zu begreifen? Oder gibt es die Stadt als emergentes Phänomen gar nicht? – Am Anfang jeder wissenschaftlichen Beschäftigung steht die Definition der Begriffe; so auch hier: Stadt und Kultur sind die zentralen Begriffe. Dann geht alles ganz schnell, und der Leser wird mitten in die aktuellen Diskussionen der Stadtplanung, der Stadtsoziologie und der Kultursoziologie gezogen.

Das Buch unterteilt sich in fünf große Abschnitte, die den Fragen gewidmet sind, ob es die bürgerliche Stadt überhaupt noch gibt (Teil 1); wie die Stadt als Maschine zur Entlastung von der Arbeit und von Verpflichtungen beiträgt (Teil 2); welche Rolle die Kulturwirtschaft bei der Reurbanisierung spielt (Teil 3); wie die Stadt zu einem Lebensort für Fremde wird (Teil 4); welche verschiedenen Aspekte die Urbanität in heutigen Gesellschaften prägen (Teil 5).

Der Autor ist bekannt für seine leicht verständliche Sprache sowie für seine Fähigkeit, auch komplexe Zusammenhänge in einer Form zu erklären, dass man ihn versteht. Das ist auch bei diesem Buch so. Es behandelt aus verschiedenen Perspektiven alle wichtigen Fragen der Stadtkultur und der Kultur der Stadt, die sich gerade aufgrund der aktuellen Flüchtlingsströme noch einmal und in ganz neuer Dringlichkeit stellen: Wie gehen wir mit (dem) Fremden um? Ist unsere Gesellschaft den Herausforderungen gewachsen, die sich in Bezug auf Integration und Akkulturation der neuen Mitbürger ergeben? Wie werden sich unsere Städte verändern? Welche Bedeutung haben diese neuen Impulse für unser Verständnis von Urbanität?

Deshalb kommt Walter Siebels neues Buch genau zum richtigen Zeitpunkt! Es gehört nicht nur in die Hände der zahlreichen Studenten der Stadtsoziologie und Kulturwissenschaften, sondern sollte jeden interessierten Leser erreichen, der sich mit dem Leben in unseren Städten auch theoretisch auseinandersetzen und verstehen möchte, warum unsere Städte sich verändern. Siebels Buch zeigt uns letzten Endes auch, wie wir einen aktiven Anteil an diesen Transformationsprozessen haben können, indem wir uns stadtpolitisch engagieren und kulturell gestaltend in die aktuellen Diskussionen einmischen.

 

Autor: Walter Siebel
Titel: Die Kultur der Stadt
Taschenbuch: 475 Seiten
Verlag: Suhrkamp Verlag
ISBN-10: 3518126989
ISBN-13: 978-3518126981

 

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