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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Wilhelm Schmid: „Sexout – Und die Kunst, neu anzufangen“

Am: | September 30, 2015

Also kein Sex mehr. Die allgemeine Lustlosigkeit scheint ebenso zu unserer Zeit zu gehören wie die flächendeckende Verbreitung von Smartphones und das Stöhnen über die fehlende Zeit. Keiner hat mehr Zeit, keiner hat mehr Sex. Die Selbstaussagen hören sich natürlich gaaanz anders an, doch bestenfalls eine relativ kleine Gruppe hat noch regelmäßigen Sex. Jene happy few können sich glücklich schätzen, und wahrscheinlich sind sie es auch.

Wilhelm Schmid ist ein kulturelles Phänomen. Immer wieder wählt sich der in Berlin lebende Philosoph für seine schmalen Büchlein Themen, über die scheinbar alles längst gesagt wurde: Gelassenheit, Liebe, Glück, Unglücklich sein – und nun eben Sexout. Mit letzterem versucht er nicht weniger als zu einer Umkehr im Denken zu ermutigen. Kulturwissenschaftlich möchte man geradezu von einem Paradigmenwechsel sprechen, wenn es gelänge, das Stigma der kollektiven Lustlosigkeit in ein harmloses Allerwelts-Phänomen umzudeuten, das alle früher oder später betrifft, die in festen Beziehungen leben.

Natürlich steckt eine tiefere Absicht dahinter, wenn Schmid das Thema Sexout auch rein sprachlich in die Nähe zum Burnout rückt, der ja in den letzten Jahren auch zu einem gesellschaftlichen Phänomen geworden ist, das die von ihm betroffenen Menschen nicht länger stigmatisiert, sondern fast mit einer Aura des altruistischen Verhaltens zu schmücken scheint. Wer ein Burnout hat, hat sich uneigennützig für Andere aufgeopfert – für die Familie, die Firma, die Gesellschaft. Doch was hat derjenige erreicht, der ein Sexout hat?

Die Flaute im Bett mag viele Ursachen haben. Ihnen nachzuspüren, ist nicht das Anliegen von Wilhelm Schmid. Ihn interessieren vielmehr die Konsequenzen, die sich daraus ergeben und aus dieser vertrackten Situation wieder heraus führen. Für einen Philosophen ist dies eine ungewohnt pragmatische Haltung. Denn ebenso viele Wege führen ins Sexout wie Lösungen aus ihm heraus. Das klingt sehr optimistisch, für viele wahrscheinlich zu optimistisch. Haben wir es also mit einem philosophischen Sexratgeber zu tun? Oder mit einem sexzentrierten Philosophiebuch? – Wilhelm Schmid ist, wie bereits angedeutet, ein Autor, der sich souverän in Gefilden bewegt, die von anderen Philosophen weiträumig umfahren werden, weil sie anscheinend zu seichte Themen behandeln. Doch Schmid schreibt über jene Themen mit einer wunderbaren Leichtigkeit und Frische, die den Leser packen und ihn mit neuen Blickwinkel auf jene scheinbar von allen Seiten beleuchteten Objekte konfrontieren. Man sieht den kurzen Texten nicht an, wieviel Recherche und Denkarbeit in ihnen steckt, und wahrscheinlich macht gerade dies den Zauber eines jeden neuen Büchleins von Wilhelm Schmid aus, die sowohl in fröhlicher Regelmäßigkeit als auch im taschenfreundlichen DIN-A6-Format im Suhrkamp-Verlag erscheinen.

Schauen wir uns an, was der Meister empfiehlt! Der Schmid´sche Zehnpunkte-Plan räumt mit den wichtigsten Problemen auf, die sich in der intimen Kampfzone bilden. Die Hauptgefahren kann man sich leicht vergegenwärtigen: Verhärtung der Fronten und Aufschub der Kommunikation. Beides ist Gift nicht nur für das Intimleben, sondern für alle Missverständnisse, die in einer Beziehung auftreten – und es zeige mir einer eine Beziehung, die völlig frei von Missverständnissen und Differenzen ist.

So stellt Schmid eingangs die Frage, ob die Idee von der Gleichheit der Geschlechter, wie sie im Zuge des gender mainstreaming für das Alltagsleben seine völlige Berechtigung genießt, sich auch auf das Sexleben anwenden lässt – und wenn nicht, warum? Gleichheit der Geschlechter erzeugt eine Differenzlosigkeit, die unweigerlich zur totalen Entspannung, d.h. zur Spannungslosigkeit führen muss. Harmonie ist schön, aber sie ist auch ein Lustkiller.

Um im Bett wieder zu einem Neuanfang zu kommen, ist es erforderlich, neugierig auf den Anderen zu sein. Wenn ich ein echtes Interesse an meinem Partner habe, den ich ja liebe, so möchte ich auch verstehen, was ihn bewegt. Warum bewegt sich zwischen uns im Bett nichts mehr? Ich möchte ihn verstehen, um gemeinsam mit ihm nach Lösungen suchen zu können. Um den Anderen zu mögen, muss ich mich aber zunächst selbst mögen. Man kann aber nur mögen, was man kennt, und so ermuntert der Autor den Leser zu einer Entdeckungstour bei und mit sich selbst. Das geht so weit, dass er durchaus auch die Selbstbefriedigung als ein Mittel der Selbsterkenntnis gutheißt. Wer sich schließlich selbst mag, ist auch wieder offen für seinen Partner und seine Bedürfnisse.

Hierbei ist guter Sex durchaus auch eine Angelegenheit, die sich verlernen lässt. Wer über längere (oder noch längere) Zeit keinen Sex mehr hatte, weder mit seinem Partner noch mit Anderen noch mit sich selbst, weiß oftmals gar nicht mehr richtig, wie es geht. Oder wie es der Partner mag. So bauen sich schnell Ängste auf. – Die gute Nachricht lautet: Man kann es (wieder) lernen, notfalls an und mit sich selbst (s.o.). Wie die Angst der Killer ist, so ist die Zuversicht, dass der Motor sich wieder anwerfen lässt, ein zusätzliches Stimulans der Lust.

Das gemeinsame freie Denken macht aus dem Neustart nicht nur den versuch, in die alte Routine zurück zu kehren, sondern bietet die Chance, nach der Pause vielleicht auch mal ganz neue Seiten an sich selbst und am Partner zu entdecken. Sex muss nicht immer harmlos sein. Es gibt interessante Spielarten, neue Spielzeuge und Technologien, die das Sexleben spannender und den Sexalltag alles Andere als alltäglich werden lassen. Der direkte Weg zurück in die alte Routine muss nicht für jedes Paar der richtige sein.

Wenn es um die Sexualität in einer langen Partnerschaft geht, werden vielleicht auch ganz andere Dinge wichtig als die frühere Fixierung auf Standfestigkeit und Akrobatik. Mit anderen Worten: Die Freundschaft ist die Basis jeder guten Beziehung und somit natürlich auch jedes guten Sexlebens.

Am Ende kommt man sich selbst auf die schliche und fragt sich: Ist Sex wirklich so wichtig? Ist man an diesem Punkt angekommen, verliert der Versuch des Neustarts jede Krampfhaftigkeit, und so kann man ganz entspannt das spannende Abenteuer antreten, gemeinsam sich selbst und den Anderen wieder zu entdecken und sich zu lieben, wie es beiden am liebsten ist.

Wilhelm Schmid ist kein Paartherapeut und auch kein ausgebildeter Sexualberater. Aber mit diesem kleinen Büchlein über das Sexout beweist er einmal mehr, dass ein guter praktischer Philosoph auch heute noch in der Lage ist, eine Anleitung zu einem besseren Leben zu liefern. Nennen wir es also ein echtes philosophisches Praxisbuch über ein Thema, das die meisten von uns betrifft.

 

Autor: Wilhelm Schmid
Tuitel: Sexout – Und die Kunst, neu anzufangen
Gebundene Ausgabe: 130 Seiten
Verlag: Insel Verlag
ISBN-10: 3458176462
ISBN-13: 978-3458176466

 

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