Wilhelm Krull (Hg.): „Krieg von allen Seiten – Prosa aus der Zeit des Ersten Weltkrieges“
Am: | April 9, 2014
Will man der Atmosphäre jener Zeit vor einhundert Jahren nachspüren, den Jahren von 1914 bis 1918, so ist es nicht nur legitim, sondern eine gute Idee, sich den literarischen Werken jener Zeit zu nähern.
Wenn es um die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs geht, so befindet natürlich Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ unter den erstgenannten literarischen Werken. Doch es gibt eine ganze Reihe bemerkens- und erinnerungswerter Prosa, die in jener Zeit entstanden ist oder die Zeit des Ersten Weltkriegs zu ihrem diegetischen Thema macht.
Der Wallstein-Verlag hat sich seit vielen Jahren einen Namen als renommierter Wissenschaftsverlag gemacht, der einen seiner Schwerpunkte in der Historiographie hat. Pünktlich zum Jubiläum des Ersten Weltkriegs ist jetzt ein kleines Buch mit Kurzgeschichten erschienen, die den Weltkrieg thematisieren.
Es ist keine leichte Lektüre, die sich hier dem interessierten Leser anbietet. Die Texte zeugen vom künstlerischen Ringen der Autoren mit dem Ungeheuren, dem Unfassbaren, Unaussprechlichen. Die traumatischen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs waren derartig neu und aufwühlend, dass die Sprache nicht selten an ihre Grenzen stößt, will man die Geschichten, die sich in jener Zeit zutrugen, angemessen erzählen. Dieses Ringen um die Worte merkt man vielen der hier versammelten Texte an.
„Eine Generation, die noch mit der Pferdebahn zur Schule gefahren war, stand unter freiem Himmel in einer Landschaft, in der nichts unverändert geblieben war als die Wolken und unter ihnen, in einem Kraftfeld zerstörender Ströme und Explosionen, der winzige, gebrechliche Menschenkörper.“ – Mit diesen treffenden Worten fasste der Berliner Philosoph, Literaturkritiker und Übersetzer Walter Benjamin in „Der Erzähler“ (1936) die Fronterfahrungen seiner Generation zusammen.
Für uns Nachgeborene, die wir sowohl den Ersten als auch den Zweiten Weltkrieg nur aus Filmen, Büchern und den Erzählunegn der Eltern und Großeltern „kennen“, ist gerade der literarische Text, der sich dem Unaussprechlichen auf dem Weg über das Individuelle und Subjektive nähert, ein probates Mittel des Nachfühlens und Einfühlens. Wir „kennen“ die Weltkriegserfahrungen niemals wirklich, sondern werden nur die Fakten erinnern und können nur versuchen uns ein Bild zu machen.
Diese Visualisierung von Geschichte funktioniert am besten durch Beispiele persönlicher betroffenheit, seien es Augenzeugenberichte oder fiktionale Texte. Dass es nun für letztere endlich eine ansprechende Anthologie gibt, ist dem Wallstein-Verlag und dem Herausgeber Wilhelm Krull zu verdanken.
Die in diesem Bändchen versammelten Autoren sind uns heute in der Mehrzahl nicht mehr bekannt. Umso interessanter ist die Lektüre, die sich zu einer echten literarischen Entdeckungstour ausweiten kann. Die Autoren dieses Buches waren jedoch zu ihrer Zeit durchaus bekannte Schriftsteller oder Journalisten. Der bekannteste unter ihnen dürfte wohl Egon Erwin Kisch sein, der mit seinem Text „Soldat im Prager Korps“ von 1922 in der Anthologie vertreten ist. Ein kurzer Auszug aus Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ (1920) darf natürlich auch nicht fehlen.
„Krieg von allen Seiten“ ist ein wichtiges Buch, das einen wichtigen Beitrag zur Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg beitragen kann. Die vielfältige literarische Aufarbeitung der Kriegstraumata durch die Zeitgenossen wird durch dieses Buch endlich auch für die Wissenschaft präsent und dürfte nicht zuletzt ein neues Licht auf ein vergleichsweise schmales Kapitel der deutschen Literaturgeschichte werfen, das meist durch die Antipoden Remarque und Jünger abgedeckt wurde. Aber auch für den normalen Leser ist „Krieg von allen Seiten“ ein höchst lehrreiches, spannendes und abwechslungsreiches Buch.
Autor: Wilhelm Krull
Titel: „Krieg von allen Seiten – Prosa aus der Zeit des Ersten Weltkrieges“
Gebundene Ausgabe: 222 Seiten
Verlag: Wallstein
ISBN-10: 3835313460
ISBN-13: 978-3835313460
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