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Constanze Kurz, Frank Rieger: „Arbeitsfrei – Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen“

Am: | Dezember 19, 2013

Die Automatisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche hat heute schon Ausmaße angenommen, die vielen von uns gar nicht bewusst sind. Sie werden weiter unsere Arbeits- und Lebensbedingungen verändern, und es liegt an uns, ob wir uns diesen Veränderungsprozessen aktiv stellen oder es vorziehen, die Augen zu verschließen und darauf zu hoffen, dass die Automatisierungswellen uns und unseren Arbeitsplatz nicht (oder nicht so bald) treffen werden.

Constanze Kurz und Frank Rieger sind für ihr neues Buch „Arbeitsfrei“ zu den Maschinen gereist, die unsere Arbeit (und damit uns) bereits heute ersetzen. Im ersten Teil ihres Buches zeigen sie am scheinbar simplen Beispiel der Herstellung eines Brotes, wie sehr die Automatisierung auch im agrarischen Bereich Fuß gefasst hat. Auf diese Weise wird das Ausmaß der Roboterisierung von Anbau, Pflege, Ernte, Mehlproduktion, Laborarbeit, Verarbeitung und Produktion bis hin zu den Transportwegen in die Läden und Supermärkte in seiner ganzen Komplexität vor Augen geführt.

Besser als das zunächst vielleicht näher liegende Beispiel des Fahrzeugbaus mit seinen Montagerobotern und Fertigungsstraßen, vollautomatischen Hochregal-Lagern und einer ausgefeilten Komponenten-Logistik zeigt uns der Herstellungs- und Vertriebsprozess eines einfachen Brotes, wo die technologische Entwicklung in Sachen Automatisierung heute bereits steht.

Die beiden Autoren sind als IT-Sicherheitsexperten seit vielen Jahren im CCC (Chaos Computer Club) aktiv, sind deren Sprecher, halten Vorträge, leiten IT-Sicherheitsunternehmen oder werden zu Enquette-Kommissionen der Bundesregierung in Sachen Datensicherheit eingeladen. Ihr letztes gemeinsames Buch „Die Datenfresser: Wie Internetfirmen und Staat sich unsere persönlichen Daten einverleiben und wie wir die Kontrolle darüber zurückerlangen“ befasst sich genau mit diesen Themen der Datensicherheit.

In ihrem neuen Buch geht es um die Welt der Arbeit, um die Maschinisierung und Roboterisierung der Produktionsprozesse. Dass diese „algorithmischen Optimierungsmethoden“ nach und nach alle Wirtschaftsbereiche erfassen und damit unser bisheriges Verhältnis zur Erwerbsarbeit radikal in Frage stellen, zeigen die beiden Autoren im zweiten Teil ihres Buches.

Hier wagen Kurz und Rieger einen vorsichtigen Blick in die Zukunft der Arbeit. Bei aller Skepsis gegenüber Zukunftsprognosen gelingt ihnen die Entwicklung eines Szenarios der Arbeitswelt in fünf, zehn oder zwanzig Jahren. Wenn die Automatisierung der Produktionsprozesse weiter fortschreitet, wovon man ausgehen kann, werden wir viele Berufe, die wir heute noch kennen, morgen schon verschwunden sein.

Ein spannender und unvorhersehbarer Faktor bei der prospektiven Fortschreibung der heutigen Situation der Automatisierung wird die Energiewende sein. Mit den jüngst entdeckten niedrig-energetischen Nuklearreaktionen bei der Kernfusion von Wasserstoff und Nickel würden zukünftige Energiespar-Überlegungen plötzlich obsolet, und man könnte sich über ganz neue Aufgabenbereiche wie die Bewässerung von Wüsten usw. Gedanken machen. Aber diese Szenarien gehören bislang noch ins Reich der Spekulation.

Besonders interessant ist die Feststellung, dass die Automatisierung auch heute schon nicht mehr bei der reinen Produktion von Gütern Halt macht, sondern auch in geistigen Arbeitsfeldern Einzug hält. So zeigen die Autoren, dass die ausgefeilten Algorithmen jetzt schon in der Lage sind, Sport- oder Börsennachrichten maschinell zu erstellen, ohne dass man den Beiträgen ansieht, dass sie nicht von einem Menschen, sondern von einem Algorithmus verfasst wurden.

Technolgische Entwicklungen haben direkte Auswirkungen auf gesellschaftliche Verhältnisse. Hierbei sind die Entwicklungen nicht nur langsam und linear, sondern es kam in der Technikgeschichte immer wieder zu technologischen Durchbrüchen, die zu Sprüngen und großen sozialen Verwerfungen führten. So wurde durch die Erfindung der halbautomatischen Webstühle die Berufserfahrung der alten Weber überflüssig; zur Bedienung der neuen Webstühle langte eine kurze Einweisung eines ungelernten Arbeiters. Ähnliches gilt für die Erfindung des Montagebandes in den Fabriken oder die Einführung der Motordroschken als Ersatz für die Pferde-Droschken, um nur einige wenige Beispiele zu nennen.

Wie sich die fortschreitende Automatisierung der Arbeitswelt auf die Arbeit selbst sowie auf unser Verhältnis zur Erwerbsarbeit auswirken wird, gehört zu den spannendsten Fragen, mit denen wir in den kommenden Jahren konfrontiert werden. Wir sollten uns diesen Fragen stellen und den Veränderungsprozess mitgestalten. Die Forderung nach Mindestlöhnen hat in diesem Zusammenhang übrigens durchaus eine negative Komponente, was die Sicherung der Arbeitsplätze betrifft:

Viele Automatisierungsprozesse sind in vollem Gange; der Verzicht auf einen Ersatz der menschlichen Arbeit durch Maschinen liegt in vielen Wirtschaftsbereichen vor allem an der zurzeit noch bestehenden Möglichkeit der Ausbeutung menschlicher Arbeit ab. Solange es einen geradezu unerschöpflichen Pool von ungelernten oder schwach ausgebildeten Arbeistkräften gibt, deren Löhne man auf ein Minimum drücken kann, werden keine Investitionen für Automatisierungen angestrebt. In dem Moment jedoch, wo man Mindestlöhne einführt, wird die menschliche Arbeit für die Automatisierer zu einer festen kalkulatorischen Größe. Danach ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Mensch durch die Maschine ersetzt – und damit arbeitslos sein wird.

Um diesen absehbaren Entwicklungen zu begegnen, fordern die Autoren eine Rückbesinnung auf die Werte einer guten und breit angelegten Ausbildung. Die Auswirkungen der Bildungspolitik der vergangenen Jahre und der als gescheitert zu nennende Versuch eines radikalen Umbaus des deutschen Bildungssystems zu einem international kompatiblen Modell auf Bachelor-Bildungsniveau hat letzten Endes zu einer Abflachung der Kompetenzen, zur punktuellen Spezialisierung der Ausbildung sowie zu einer Verengung der breiten Allgemeinbildung zu einem Halbwissen geführt, das sich allein an den Marktinteressen orientiert. Dieser Weg war falsch und muss umgehend korrigiert werden, wenn wir zukunftsfähig bleiben wollen.

Die daran anschließende Frage bleibt jedoch, wie wir uns selbst und unser Leben sehen. Wenn wir unseren Lebenssinn vor allem über die Erwerbstätigkeit definieren, werden wir in Zukunft ein Problem haben. Wenn die Erwerbstätigkeit wegfällt, braucht ein sinnvolles Leben ein neues Fundament. Wie dieses Fundament aussehen könnte, das lassen die beiden Autoren offen. Aber ihnen gehört der Dank für die Bewusstmachung einer tief greifenden und nahezu alle Arbeits- und Lebensbereiche umwälzenden Problematik: die Maschinisierung und Automatisierung unserer Arbeitswelt.

„Arbeitsfrei“ ist ein wichtiges Buch, das die Augen für eine umwälzende technologische Entwicklung öffnet, die uns alle betrifft.

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Autor: Constanze Kurz, Frank Rieger
Titel: „Arbeitsfrei – Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen“
Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
Verlag: Riemann Verlag
ISBN-10: 3570501558
ISBN-13: 978-3570501559

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