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Friedrich Schlegel: Schriften zur Kritischen Philosophie 1795-1805“

Am: | Juli 19, 2013

Die Gebrüder Schlegel bildeten den Kern des frühromantischen Jenaer Kreises um 1800. In ihrem selbst herausgegebenen Zentralorgan, dem „Athenäum“, veröffentlichten sie literaturkritische Texte, Gedichte, philosophische und poetologische Beiträge und vor allem jene berühmt gewordenen Fragmente, die als neue romantische Textsorte das Unvollständige, Provisorische und Perfektible aller literarischen Bestrebungen betonen sollte.

Die turbulente Zeit um 1800 wird auch als Sattelzeit (R. Koselleck) bezeichnet. Jene Zeit nach der Französischen Revolution von 1789 war eine Phase des Umbruchs, der neuen Ideen und Ideale, eine Phase des Neuanfangs und der Enttäuschungen, eine Zeit der Träumer und Welterklärer.

Friedrich Schlegel ist als zentrale Figur der Jenaer Frühromantik durch seine Athenäums-Beiträge und durch seinen Roman „Lucinde“ bekannt, der mehr aufgrund seiner freizügigen Textpassagen als aufgrund seiner literarischen Qualität großes Aufsehen erregte. Weniger bekannt ist, dass Schlegel neben seinen poetologischen und literaturkritischen Studien vor allem intensiv mit Philosophie beschäftigte. 1804-1806 hielt er seine ersten „Philosophischen Vorlesungen“, und auch in jener Zeit in Paris, Köln und Wien gilt sein Hauptinteresse neben sprachwissenschaftlichen Studien („Über die Sprache und Weisheit der Indier“) vor allem der Beschäftigung mit der Philosophie. In den späten 1820er Jahren wird Schlegel in Wien seine Vorlesungen zur „Philosophie des Lebens“ und zur „Philosophie der Geschichte“ halten. Doch zurück in jene frühe kreative Schaffensphase von 1795-1805:

Wie sein Freund Novalis (Friedrich von Hardenberg) ging es Schlegel in jener Zeit um die Entwicklung einer kritischen Stellungnahme zu Kants Transzendentalphilosophie. Kritisch darf hier nicht im heute üblichen Sinne verstanden werden, sondern meint lediglich eine „genaue, unterscheidende und trennende Betrachtung“.

Transzendentalphilosophie versucht die Grundstrukturen des Seins im Rahmen des Entstehens und Begründens von Wissen über das Sein zu beschreiben. Immanuel Kant wollte als Erster auf diese Weise der Philosophie eine völlig neue Grundlage geben. Denn bislang war es die Aufgabe der Ontologie, das Wesen des Seins zu erklären. Kants Ansatz war radikal und neu, indem er versuchte, die Grundstrukturen des Seins allein durch das begründete Wissen über das Sein zu erklären.

Friedrich Schlegel orientierte sich an Kants Transzendentalphilosophie und wandte das Prinzip der Transzendenz unter Anderem auch auf seine Idee von der Rolle und Funktion der Literaturkritik an. Erst dadurch dass die Kritik in einem literarischen Kunstwerk selbst enthalten ist und indem der Leser erst das Kunstwerk durch seine kritische Lektüre in seinem Prozess zu einem vorläufigen Abschluss bringt, wird das Kunstwerk transzendiert und vollendet.

Die Progressive Universalpoesie als eine prozessual verstandene Literatur, die ihre inhärente Perfektibilität im unendlichen Kreislauf ihrer Produktion und Rezeption offenbart, war Schlegels Ideal einer neuen romantischen Literatur, die ihre Vollendung in der Gattung des Romans finden sollte. Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ diente den Frühromantikern als Projektionsfläche und Matrix für ihre literarischen Träumereien.

Schlegels Schriften aus jener Zeit spiegeln nicht nur das gemeinschaftliche Ringen um neue Formen der Literatur und der künstlerisch-philosophische Zusammenarbeit – Schlegel nannte dies „Symphilosophiren“ -, sondern zeigt auch, wie lebendig und „offen“ jene kurze Phase um 1800 in den Künsten, den Wissenschaften und in anderen gesellschaftlichen Bereichen gewesen sein muss. Die Forderungen der Französischen Revolution nach liberté, égalité und fraternité versuchten die Jenaer Frühromantiker für ihre künstlerische Arbeit umzusetzen, indem es die Freiheit der Formen (liberté), die Gleichberechtigung von Männern und Frauen (égalité) sowie neue Formen der gleichberechtigten, autorlosen Zusammenarbeit (fraternité) gab.

Frauen wie Dorothea Veit und Caroline Schlegel-Schelling arbeiteten gleichberechtigt im Jenaer Kreis mit und ließen für einen kurzen Sommer sogar eine regelrechte kleine Künstlerkommune entstehen. Für kurze Zeit wehte die frische Morgenluft der Freiheit, deren Hauch schon bald wieder durch die politischen Unruhen nach der Revolution in Frankreich sowie durch die restaurativen Kräfte in Deutschland unterdrückt wurde.

Jena war neben dem nur wenige Kilometer entfernten Weimar das damalige Epizentrum der kulturellen Erschütterungen. Fichte, Schelling, Schleiermacher, Novalis und die beiden Schlegel-Brüder August Wilhelm und Friedrich bildeten die Vorhut des Idealismus und der romantischen Bewegung, während in Weimar Goethe und Schiller bereits an jener Kunsttheorie sowie an Werken arbeiteten, die man später als Weimarer Klassik kennen wird.

Friedrich Schlegels kritische Schriften, seine Rezensionen des Condorcet und Woldemar, Auszüge aus seinem Lessing-Aufsatz, den Athenäums-Fragmenten jener Zeit sowie seine Auseinandersetzung mit der Philosophie des Plato sind in dem vorliegenden Band mit „Schriften zur Kritischen Philosophie 1795-1805“ enthalten.

Wie von einer Publikation in der „Philosophischen Bibliothek“ des Meiner-Verlages nicht anders zu erwstrten, folgt die Wiedergabe der Texte jeweils dem Erstdruck, der in den Ausführungen zu den einzelnen Texten jeweils genannt ist. Orthographie und Interpunktion bleiben unverändert.

Wer sich mit der Jenaer Frühromantik beschäftigt oder für Friedrich Schlegel interessiert, wird sich über diese schöne handliche Ausgabe mit allen relevanten kritischen Texten von 1795-1805 freuen.

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Autor: Friedrich Schlegel
Titel: Schriften zur Kritischen Philosophie 1795-1805“
Gebundene Ausgabe: 239 Seiten
Verlag: Meiner
ISBN-10: 3787318488
ISBN-13: 978-3787318483

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