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Gottfried Honnefelder (Hg.): „Was also ist die Zeit? – Augenblick und Erinnerung, Vergänglichkeit und Hoffnung“

Am: | November 17, 2012

Immanuel Kant setzte Raum und Zeit als die einzigen Kategorien, die a priori – also vor allem anderen – existieren. Wir können uns nichts vorstellen, das sich nicht innerhalb dieser beiden Kategorien bewegt. Das Räumliche als Koordinatensystem der Dinge – und die Zeit als das Koordinatensystem der Wirklichkeit, des Wirkens. Doch Kant war weder der erste noch der letzte, der sich Gedanken über die Zeit gemacht hat. Seit der Antike versuchten Philosophen, Wissenschaftler, aber natürlich auch Künstler und Dichter das Phänomen der Zeitlichkeit zu verstehen und zu erfassen.

Das vorliegende Buch, das von Gottfried Honnefelder bereits 1989 im Insel-Verlag und jetzt in der Berlin University Press neu herausgegeben wurde, versucht sich diesem Phänomen auf eine ganz intuitive Weise zu nähern. Eine Collage aus fremden Texten von Augustinus bis Stefan Zweig, von Sigmund Freund über Stefan George und Erich Kästner bis zu Ingo Schulze, Ingeborg Bachmann und Bertolt Brecht, von Andreas Gryphius über Friedeich Schiller bis zu Italo Svevo nähert sich dem Thema Zeit von den unteschiedlichsten Seiten. Und gerade dieser multiperspektivische Blick macht den eigentlichen Reiz dieses Buches aus.

Lässt man sich auf den Duktus dieses Buches ein und folgt man Honnefelder auf seinen fünf Wegen durch die Zeit, so geht man zunächst auf die Suche nach der verlorenen Zeit. „Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt“ – So ist der zweite Abschnitt nach dem ersten Vers aus Paul Celans Gedicht „Corona“ überschrieben. „Ein mal jedes, nur ein mal“ ist der dritte Weg durch die Zeit betitelt. „Geduld aber bringt Erfahrung; Erfahrung aber bringt Hoffnung“ und „Was bleibt aber, stiften die Dichter“ lauten die letzten beiden Abschnitte.

Anders als andere schlaue Bücher über die Zeit verzichtet der Herausgeber gänzlich auf eine Kommentierung seiner Auswahl; allein ein kurzer Epilog macht seine Position noch einmal deutlich: „Was ist die Zeit? Wir leben in ihr, können nach ihr fragen und finden doch keine rechte Antwort. (…) Erst durch die Sprache gewinnen wir ein Verhältnis zu der Zeit. Sie erlaubt uns, Vergangenes festzuhalten, Erfahrungen nicht nur zu machen, sondern auch weiterzugeben, Geschichte und Geschichten zu erzählen, Traditonen zu bilden.“

Dieses Buch bietet dem Leser die Möglichkeit, sich ein neues Gefühl für die Zeit und die eigene Zeitlichkeit zu erlesen, um dadurch zu neuen Erkenntnissen für das eigene Leben zu gelangen. Das ist ein sehr hohes Ziel, das der Autor nicht für sein Buch beansprucht, aber das durch die Lektüre dieses Buches möglich wird. – Ein schönes, tiefes und lehrreiches Buch, das jetzt endlich wieder neu aufgelegt wurde.

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Autor: Gottfried Honnefelder (Hg.)
Titel: „Was also ist die Zeit? – Augenblick und Erinnerung, Vergänglichkeit und Hoffnung“
Gebundene Ausgabe: 176 Seiten
Verlag: Berlin University Press
ISBN-10: 3862800482
ISBN-13: 978-3862800483

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