Norbert Bolz: „Das Gestell“
Am: | Oktober 4, 2012
Die Technik hat sich verselbständigt. Wenn man sich in unserer Welt umsieht, wird man schnell in der Annahme bestätigt, dass die Technisierung und Technologisierung nahezu aller Lebensbereiche ein Ausmaß erreicht hat, das die Technik mit einer geradezu universalen Macht versieht.
Das rationale Denken wird zum bloßen Verstandesdenken ohne Beteiligung der Vernunft. Der aus dem Lateinischen stammende Begriff der ‚ratio‘ (Verstand, Berechnung) geht auf die griechische ‚diánoia‘ zurück, während der Geist, der lateinische ‚intellectus‘ (Geist, Vernunft) auf den griechischen ’nous‘ zurück zu führen ist.
Während der Rationalismus noch die Verbindung von Geist und Verstand (intellectus und ratio) als Grundlage des (dia)noetischen Verstehens ansah, hat sich die Technik des vernünftigen Teils des Rationalismus zugunsten des rein berechnenden Verstandesdenkens entledigt.
Die ‚téchne‘, die künstlerische oder handwerkliche Fertigkeit, die sich im Schaffens- und Erkenntnisprozess zwischen der Erfahrung (empeiría) und dem Wissen (epistéme) bewegt, hat sich im Zuge ihrer Verselbständigung komplett von der Philosophie entfernt und als Geist der Technizität im Denken etabliert. Der Technik als Beherrschung bestimmter Fähigkeiten inhäriert immer auch der Wille zur Beherrschung. Diese Intentionalität führt zu einer Überbetonung der Machtaspekte und zu einem indifferenten Unbehagen an der Technik.
„Technik ist der blinde Fleck der Philosophie“. So beginnt Norbert Bolz sein Buch „Das Gestell“, in dem er der Frage nachgeht, wie es zu jener Entzweiung zwischen Philosophie und Technik gekommen ist und wie der Neue Bund zwischen Philosophie und Technik aussehen könnte, von dem Ernst Jünger sprach.
Der Technikbegriff wird von Heidegger als Gestell beschrieben und von Gehlen als Organersatz, der das ‚Mängelwesen Mensch‘ befähigt, seine Umwelt zu gestalten, zu kultivieren. Jakob von Üexküll traf die Unterscheidung zwischen dem ‚Werkzeug‘ und dem ‚Merkzeug‘; während das erste dazu dient, ein Werk herzustellen, besteht die Aufgabe des zweiten darin, sich etwas merken zu können. Genau an diesem Punkt kommt der mediale Aspekt der Technik ins Spiel, dem der Autor große Bedeutung beimisst.
Auch Niklas Luhmann forderte einen erweiterten Technikbegriff, der „nicht ausschließlich auf Berechenbarkeit und Rationalität“ abstellt. Das Unbehagen, das wir an der Technik empfinden, rührt nicht zuletzt daher, dass die Technik in einer Zeit und Gesellschaft verbreitet wurde, die darauf weder strukturell noch semantisch vorbereitet war.
Technologie besagt, dass Logik Technik ist. Diese Gleichsetzung führt zu einem Ausschluss der Philosophie und der Vernunft. Was sich logisch ableiten lässt, kann technisch umgesetzt werden – und umgekehrt. Was technisch umsetzbar ist, lässt sich notfalls auch logisch oder wenigstens rational begründen.
Norbert Bolz sieht es als unsere Aufgabe an, in der so genannten „Noosphäre“ wieder zu einer Synthese von Natur und Geist, zu einem Neuen Bund mit der Technik zu gelangen, die in der Lage ist, unser Unbehagen zu beseitigen und uns mit dem Gestell wieder zu versöhnen.
Wie in seinen Publikationen üblich, schlägt Bolz auch in seinem Buch „Das Gestell“ einen weiten Bogen und schafft es, in seiner Abhandlung ein stimmiges Gesamtbild der Chancen und Probleme der Technologisierung unserer Zeit zu zeichnen. Die Lektüre ist jedoch nur dem fortgeschrittenen Leser zu empfehlen, der mit einem größeren anthropologischen und philosophischen Vorwissen aufwarten kann. Ansonsten wird man es mit dem vorliegenden Buch schwer haben.
Wer jedoch über die entsprechenden Vorkenntnisse verfügt, sollte sich „Das Gestell“ unbedingt anschauen. Es liefert einen interessanten Beitrag zur aktuellen Technologie-Diskussion in der Philosophie.
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Autor: Norbert Bolz
Titel: „Das Gestell“
Broschiert: 137 Seiten
Verlag: Wilhelm Fink
ISBN-10: 3770552938
ISBN-13: 978-3770552931
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