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Franz Memelsdorff / Georg Heller: „Im KZ – Zwei jüdische Schicksale 1938/1945“

Am: | Februar 20, 2012

Die dokumentarische Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus und des Holocausts reißt auch über 67 Jahre nach Kriegsende nicht ab, und das ist gut so. Die Unfassbarkeit der Gräueltaten der Nazidiktatur ließe sowohl die Sprachlosigkeit als Reaktion vermuten als auch ihr Gegenteil, ein sich in eloquenter und Fakten anhäufender Dokumentationsfreudigkeit ergießender Sublimierungsdrang der Betroffenen wie der Nachgeborenen. Das vorliegende schmale Taschenbuch lässt sowohl aufgrund seines Bescheidenheit signalisierenden Umfangs als auch wegen der hier eingenommenen Perspektive aufhorchen.

„Im KZ“ stellt zwei Berichte von Betroffenen zur Disposition, deren Ausgangslage unterschiedlicher kaum sein könnte. Und doch haben sie ein gemeinsames Schicksal als Juden und Opfer der nationalsozialistischen Rassenideologie.

Franz Memelsdorff war von 1923 bis 1933 jüdischer Beigeordneter des preußischen und deutschen Städtetages. 1938 wurde er als „Aktionsjude“ für sechs Wochen im KZ Dachau festgehalten, bevor er nach seiner Entlassung nach Argentinien emigrieren konnte.

Georg Heller kam als gebürtiger Ungar von 1944 bis 1945 ins Vernichtungslager Auschwitz. Sein bericht spiegelt die Grausamkeit des Lageralltags wieder, der nach der radikalen und erbarmungslosen Ausbeutung der Arbeitskraft nur noch die Vernichtung des jüdischen Lebens vorsah. erst die Befreiung des Lagers durch die alliierten Truppen beendete Hellers Martyrium.

Während Memelsdorff als ranghoher Politiker eingeschüchtert und zur Auswanderung gedrängt werden sollte, gibt Hellers Bericht aus der letzten Phase des Zweiten Weltkriegs ein hautnahes Bild der Vernichtungspolitik des Nazi-Regimes.

Die Gegenüberstellung beider Augenzeugenberichte zeigt, wie komplex und verschieden das KZ-System des Dritten Reiches strukturiert war. Vor allem in der Zeit des Krieges standen die Ausbeutung der Arbeitskraft und die Vernichtung jüdischen wie „unwerten“ Lebens – vor allem in den besetzten Ostgebieten – im Vordergrund, während es dem Regime in den 1930er Jahren noch eher um die massive Einschüchterung und um den Druck auf die jüdischen Mitbürger ging.

„Im KZ“ ist ein Buch, das nicht nur für alle interessant ist, die sich mit deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts in allen ihren Facetten beschäftigen; sondern vor allem gehört es in den Geschichtsunterricht. Wie kann man besser verstehen, was sich in Deutschland zwischen 1933 und 1945 zugetragen hat, als wenn man die Berichte von Zeitzeugen studiert? Wie kann man besser begreifen, wie perfide das Nazi-System funktionierte, wie es seine Rassenpolitik von Anfang an mit Hilfe eines Netzwerkes von Konzentrationslagern mitten in Deutschland (und später in den besetzten Gebieten) umsetzte und den höllischen Plan einer umfassenden Vernichtung der Juden in Europa in die Wege leitete?

Dieses Buch gehört in den Unterricht und als begleitendes Arbeitsmaterial in den Lehrplan des Geschichtsunterrichts der höheren Klassen. Und es gehört in die Hände des geschichtsbewussten Lesers, der sein Wissen über die Komplexität der Judenverfolgung im Dritten Reich erweitern möchte.

Autor: Franz Memelsdorff , Georg Heller
Titel: „Im KZ – Zwei jüdische Schicksale 1938/1945“
Taschenbuch: 160 Seiten
Verlag: Fischer Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 3596191653
ISBN-13: 978-3596191659

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