Interview mit Bernd Brunner zu seinem Buch „Die Kunst des Liegens“ auf der Frankfurter Buchmesse 2012
Am: | Oktober 17, 2012
RALPH KRÜGER: Herr Brunner, Sie schreiben Kulturgeschichten. Sie haben ein Buch über das Verhältnis von Menschen und Bären geschrieben, ein schönes Sachbuch über den Mond, eine Kulturgeschichte des Aquariums – und nun eine Kulturgeschichte des Liegens. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch über das Liegen zu schreiben?
BERND BRUNNER: Ich stand natürlich unter dem Eindruck dieser ganzen Burnout-Diskussion der letzten Jahre und der Diskussion über Entschleunigung. Ich stand unter dem Einfluss der Frage, ob mit unserem Lebenstempo vielleicht irgend etwas nicht stimmt und aus dem Gleichgewicht geraten ist. Das brachte mich auf die Idee des Verhältnisses von Horizontalität und Vertikalität. Dann stand plötzlich die Idee im Raum, eine Kulturgeschichte des Bettes zu schreiben; das fand ich aber zu eng gefasst und habe es auf die jetzige Fragestellung erweitert. Das war in der Tat nicht ganz einfach. Denn es ist ja eine Art von Geschichte, die normaler weise nicht in den Geschichtsbüchern zu finden ist. Es hat ja eher mit den Lebensgewohnheiten zu tun. Bei den Franzosen gibt es da einige Veröffentlichungen, die sich damit beschäftigt haben – zum Beispiel „Die Geschichte des privaten Lebens“ [In 5 Bänden von Philippe Aries und Georges Duby], und es gibt auch eine sehr schöne Kulturgeschichte des Bettes von einem gewissen Pascal Dibie – da knüpfe ich an und extrapoliere dann für die Frage der Horizontale, wie sich das durch die Zeiten und Kulturen entwickelt hat. Ich bin auch überrascht, wie sehr diese eigentlich etwas peripher erscheinende Praxis des Liegens von den Vorstellungen der jeweiligen Zeit und Kultur bestimmt wird und durchdrungen ist. Es ist auch spannend, die Zusammenhänge zu untersuchen, wann man liegt oder nicht liegt, wann und wo man liegt – das ist alles in permanenter Veränderung.
RALPH KRÜGER: Man würde ja vielleicht zunächst das Liegen auf das Schlafen reduzieren wollen, und so können wir feststellen, dass wir im Durchschnitt etwa ein Drittel unserer Lebenszeit verschlafen. Schlafen ist durchaus ein wichtiger Anteil unseres Lebens und eine – wenn auch unbewusste – kulturelle Praxis. Noch mehr jedoch ist es so mit dem Liegen, das ja eine lange Tradition hat, wenn wir an die Antike denken. Die unterschiedlichen Kontexte, in denen man liegt, haben Sie in Ihrem Buch wunderbar herausgearbeitet, wie ich finde: im Liegen arbeiten, Liegen auf Reisen, um gesund zu werden und so weiter. Sehr gelacht habe ich übrigens, als sie die Mästkur beschrieben, die man Dauerliegenden noch am Ende des 19. Jahrhunderts zur Genesung verordnet hatte.
BERND BRUNNER: Liegen wird ja oft auch mit Krankheit in Verbindung gebracht und steht somit auch etwas unter einem tragischen Vorzeichen. Auch für viele Autoren war das Liegen bestimmt nicht die Seinsform ihrer Wahl, sondern eine Notwendigkeit. Ob man nun an Proust denkt oder auch an Heine mit seinem „Matratzengruft“, als er in seinen späteren Jahren ans Bett gefesselt war. Es gibt aber noch ein anderes Beispiel, das ist nicht in dem Buch enthalten, ich zitiere es aber auch sehr gerne: Truman Capote hat sich mal als „horizontalen Autor“ bezeichnet; er hat ganz klar heraus gestellt, dass er im Liegen die besten Ideen habe und dass Kreativität ohne das Liegen für ihn überhaupt nicht möglich sei. Es gibt ja ganz offensichtlich einen Zusammenhang zwischen Kreativität und Entspannung. Wenn man liegt, muss man sich ja nciht mehr mit der Schwerkraft auseinander setzen. Es fällt alles von einem ab, und man kann seine Gedanken anders verdichten und anders formen, wenn man liegt.
RALPH KRÜGER: Alles wird leichter.
BERND BRUNNER: Genau, alles wird leichter, wie es scheint. Natürlich ist das wissenschaftlich sehr schwer zu messen.
RALPH KRÜGER: In diesem Phänomen schwingt ja ein anderer Begriff mit, der ein wenig aus der Mode gekommen ist: die Muße. Die Muße scheint uns ja in unserem Tempo verloren gegangen zu sein. Niemand nimmt sich mehr Zeit, eine Auszeit zu nehmen. – Wie liegen Sie selbst am liebsten? Oder anders gefragt: Nutzen Sie selbst das Liegen als einen Weg zur Inspiration?
BERND BRUNNER: Ich lese auf jeden Fall sehr gern im Liegen – oder besser: halb liegend im Sessel mit den Beinen hoch. Schlafen ist natürlich wieder etwas Anderes; da bin ich am liebsten in einem kleinen, gut abgedunkelten Raum und möglichst ohne Störung – eigentlich wie ein Höhlenmensch. Aber das ist alles sehr individuell, und ich denke, man kann auch keine allgemein gültigen Ratschläge geben, wie man am besten liegt… Ich verstehe mich auch nicht als Ratgeber-Autor. Mein Buch ist wohl eher so ein Zwischending zwischen einem Ratgeber und einer kulturhistorischen Betrachtung des Liegens.
RALPH KRÜGER: Mich würde interessieren, wie Sie an dieses Projekt heran gegangen sind. Zunächst hatten Sie die Idee, eine Kulturgeschichte des Liegens zu schreiben. Wie sahen dann die nächsten Schritte aus? Haben Sie sofort mit der Recherche begonnen oder haben Sie zunächst überlegt, welche Aspekte alle in diesem Buch versammelt werden sollen?
BERND BRUNNER: Ich bin tatsächlich zunächst von den Kulturgeschichten des Bettes [Pascal Dibie] und des privaten Lebens [Philippe Aries und Georges Duby] ausgegangen – die Franzosen finde ich immer sehr inspirierend – und habe dann versucht, mich bei den Ethnologen umzuschauen, was es da zu diesem Thema gibt, dann bei der Archäologie… Das Internet ist natürlich bei solchen Recherchen heutzutage sehr hilfreich. Da kriegt man auch sehr schnell mit, was diskutiert wird und was die Leute interessiert. Ein ganz großes Thema scheint auch zu sein, wie man mit dem Partner oder der Partnerin am besten zusammen liegt und inwieweit das wiederum die Beziehung spiegelt, ob man daraus Sachen ablesen kann, die auf den Zustand der Beziehung hindeuten… Das sind Gedanken, die oft im Internet formuliert werden, und so kommt dann eines zum anderen. – Sie wissen ja, das Buch ist ja nicht so systematisch gegliedert, sondern hat viele kleine Einzelkapitel, in denen ich mir die Freiheit nehme, ein Thema aufzugreifen und auch nicht erschöpfend zu beantworten, aber versuche, einen kleinen Exkurs zum Thema anzubieten. Wenn einen das wirklich interessiert, kann man ja auch selbst weiter recherchieren. Dann fügt sich irgend wann dieses Bild eines Buches, und dann ist es plötzlich „Die Kunst des Liegens“… – Der Buchtitel erinnert natürlich an „Die Kunst des Liebens“ [Erich Fromm], aber das war natürlich vom Ansatz her ganz anders konzipiert; denn Fromm hatte ja eine ganz klare Vorstellung davon, wie es eben sein sollte. Die Anlehnung an diesen Titel ist natürlich auch ein wenig ironisch gemeint. „Die Kunst des Liegens“ ist trotzdem kein Spaßbuch, sondern irgend was in diesem Bereich zwischen Ratgeber, Kulturgeschichte und populärer Darstellung.
RALPH KRÜGER: Im Zusammenhang mit dem Liegen ist mir noch ein anderer Aspekt aufgefallen: Wir kommunizieren ja über Sprache. Liegen hat ja nun die verschiedensten denotativen und auch konnotativen Bedeutungen: also richtig liegen, daneben liegen usw. Das macht ganz gut deutlich, wie unsee Sprache auch wieder auf die kulturuelle Praxis des Liegens zurück weist und umgekehrt.
BERND BRUNNER: Es gibt ja auch einige Sprichwörter, die mit dem Liegen verbunden sind – wie zum Beispiel: „Wie man sich bettet, so liegt man“. Ehrlich gesagt, habe ich as nie so richtig verstanden. Die tiefere Bedeutungsebene dieses Sprichwortes hat sich mir noch nicht erschlossen. So what?!
RALPH KRÜGER: Ich vermute, der tiefere Sinn zielt auf einen eher rationalen Ansatz in diesem Sinne: Wenn man sich gut vorbereitet, dann wird es auch gut funktionieren. – Es gibt aber noch etwas in Ihrem Buch, über die ich gestolpert bin. Sie erwähnen an einer Stelle den Raumphilosophen Otto Friedrich Bollnow. Was ist bitteschön ein Raumphilosoph?
BERND BRUNNER: Die Raumphilosophie machen sich Gedanken über die psychologische Wirkung und die Gestaltung von Räumen und wie das die Wahrnehmung beeinflusst. Es geht noch einen anderen Philosophen, Gert Selle, der sich zum Beispiel auch mit der philosophischen Bedeutung der Tür oder des Bettes oder des Tisches beschäftigt – auch in historischer Perspektive. Das klingt zunächst vielleicht sehr abseitig, ist es aber, glaube ich, überhaupt nicht. Es sind auch sehr praktische Überlegungen, die sich damit verbinden, welche Funktion eigentlich diesen Trennungen oder auch Gegenständen in unserem Leben zukommen. Wir leben mit ihnen und es prägt unser Leben, auch wenn wir uns das vielleicht gar nicht mehr so bewusst machen.
RALPH KRÜGER: Ich denke da spontan auch an Bruno Latour und seine Akteur-Netzwerk-Theorie.
BERND BRUNNER: Da müssen Sie mich jetzt aufklären…
RALPH KRÜGER: Die Akteur-Netzwerk-Theorie ist eine vor allem in Frankreich entstandene philosophische Richtung, die den Objekten eine eigene Akteurs-Kompetenz zusprechen. Die ANT behauptet zurecht, dass nicht nur wie die Dinge beeinflussen, sondern auch umgekehrt die Dinge uns. Das typische Beispiel ist der Türgriff, der uns präskriptiv vorschreibt, wie wir ihn zu bedienen haben und sich jeder anderen Bedienung verweigert.
BERND BRUNNER: Das stimmt ja auch! Das ist wie ein Gesetz, das abstrakt im Raum steht. So wird dieses Gesetz zu einer räumlichen Begebenheit, die uns in unseren Handlungsmöglichkeiten einschränkt.
RALPH KRÜGER: Obwohl es ja – und jetzt kommen wir auf Ihr Buch zurück – immer wieder Bemühungen gab, diese Einschränkungen zu minimieren und das Schweben im Raum zu simulieren. Ich denke da an diese wunderbare, von ihnen auch im Buch vorgestellte „Dittmannsche Schaukelwanne“, die um 1900 erfunden wurde… Die arbeitete fast nach demselben Prinzip wie diese modernen Salzwassertanks, in denen man für teures Geld ein vorüber gehendes Gefühl der Schwerelosigkeit haben soll.
BERND BRUNNER: Und um vielleicht auch wieder an die eigene Existenz vor der Geburt zu erinnern, als man in einem ähnlichen Milieu schwamm. Aber ich will das gar nciht weiter bewerten.
RALPH KRÜGER: Kommen wir noch einmal auf Ihr Buch zurück. „Die Kunst des Liegens“ ist fertig, und es mit 164 Seiten ist ein relativ schmales Buch. Es gibt doch sicherlich eine Menge an Fakten und Geschichten, die keinen Weg zwischen die beiden Buchdeckel gefunden haben. – Fällt Ihnen ein interessantes Fundstück oder eine schöne Anekdote ein, die Sie uns erzählen möchten?
BERND BRUNNER: Das eine habe ich, glaube ich, schon genannt – den „horizontalen Autor“ Truman Capote. Das Andere ist eine interessante Beobachtung, die ich in der Osttürkei gemacht habe. Ich lebe im Moment ja im Moment vor allem in Istanbul und in der Türkei. Ich war neulich im Osten der Türkei unterwegs. Was da ganz interessant ist: Im Sommer ist es dort so heiß, dass die Menschen ihre Betten auf die Dächer verlagern. Dort gibt es dann richtige Bettaufbauten, wo sie auch vor Vögeln geschützt sind und schlafen können. Das fand ich eigentlich eine ganz elegante Lösung, einfach draußen zu schlafen; wobei ich sonst draußen zu schlafen eher problematisch finde auch schon durch die ganzen Geräusche und Störungen. Für mich funktionert das eigentlich überhaupt nicht, aber dort ist das eben wirklich eine Notwendigkeit.
RALPH KRÜGER: In Ihrem Buch erzählen Sie ja auch die Geschichte des Bettes bzw. des Bettens und zeigen, dass es in früheren Zeiten so etwas wie ein Bett nach unserem heutigen Verständnis eigentlich oft nicht gab. Meist gab es nur eine Ecke im Raum, in der vielleicht ein wenig Stroh aufgehäuft war und in die man sich dann schlafen legte. Nach unserer Vorstellung war das ganz schön unbequem. Ich stellte mir beim Lesen die Frage, ob es nicht vielleicht eine Korrelation der Anstrengung unseres Tagwerks und der Bequemlichkeit unserer Nachtlager gibt? Je schwerer die Arbeit, umso unwichtiger ist, wie das Bett beschaffen ist. Diese Sorglosigkeit scheinen wir mit unseren Bürojobs heute nahezu völlig verloren zu haben. Unsere Betten müssen unsere schlaffen und schwachen Körper schonen, die Wirbelsäule entlasten und uns davor bewahren, im Schlaf weiteren Schaden zu nehmen. Bestenfalls im Urlaub nach einer langen Wanderung oder wenn wir abends geschafft vom Joggen oder aus dem Fitnessstudio kommen, ist es uns ähnlich egal, wie die Qualität unseres Bettes ist. Wir legen uns hin und schlafen wie die Kinder.
BERND BRUNNER: Das zeigen auch diese ganzen Rheum-Liegen und ähnlihe Gerätschaften. Was für verrückte Matratzen es gibt, unglaublich. Ich deute das ja auch in meinem Buch an: zum Beispiel diese „Boxspring-Matratzen“, die ja auch sehr teuer sind… Ich denke auch, dass dies ein interessanter Gedanke ist. Wir sind ja körperlich nicht mehr so erschöpft, wie es die Menschen früher mit ihrer harten körperlichen Arbeit gewesen sind. Damals war es entscheidend, dass man sich einfach nur einmal hinlegen konnte. Vielleicht erreichen wir auch gar nicht mehr diese Schlaftiefe wie unsere Vorfahren. Aber wir sind mit unseren Ansprüchen wohl auch einfach überzüchtet und verformt, wie es für frühere Generationen undenkbar gewesen wäre.
RALPH KRÜGER: Es ist aber auch eine Frage der Kultur und der Erziehung. Wir haben alle von klein auf gelernt, wie ein Bett aussieht.
BERND BRUNNER: Aber man kann sich auch umgewöhnen. Diese Erfahrung hat jeder von uns schon einmal gemacht. Wenn Sie auf einem Bett schlafen müssen, an das Sie nicht gewöhnt waren, dann ist die erste Nacht ganz furchtbar, aber man gewöhnt sich doch erstaunlich schnell an das neue Bett.
RALPH KRÜGER: Ich denke da gerade an mein Hotelbett hier in Mainz, dessen Matratze leider extrem weich ist… gar nicht gut für den Rücken. Aber schon in der zweiten Nacht hatte ich mich daran gewöhnt. Der Mensch ist sehr anpassungsfähig, das ist die gute Nachricht. – Aber kommen wir zu einem anderen Thema: „Die Kunst des Liegens“ ist fertig. Arbeiten Sie gerade an einem neuen Projekt?
BERND BRUNNER: Es gibt Gedanken über neue Projekte, aber noch nichts Konkretes, von dem ich Ihnen erzählen könnte.
RALPH KRÜGER: Ich habe im Internet leider nicht viel – um nicht zu sagen: gar nichts – über Ihren beruflichen Werdegang heraus finden können. Vielleicht können Sie unseren Lesern kurz erzählen, wie Sie zum Schreiben gekommen sind?
BERND BRUNNER: Ich habe zwei Abschlüsse. Ich habe Betriebswirtschaft und Kulturwissenschaften mit Amerikanistik studiert als Magister und habe dann im Fernsehbereich als Journalist gearbeitet – bei der Deutschen Wellen, bei n-tv. Dann habe ich bei der Industrie- und Handelskammer in Berlin gearbeitet und als Lektor für einen Wirtschaftsverlag. Seit etwa zehn Jahren bin ich aber auch an meinen Kulturgeschichten dran. Vor zwei Jahren habe ich mich dann auch ganz dafür entschieden, „nur noch“ Bücher zu schreiben.
RALPH KRÜGER: Und Sie können davon leben.
BERND BRUNNER: Ich habe keine Familie und habe keine hohen Ausgaben. Mit Kindern wäre das gar nicht möglich, aber so funktioniert’s halt. Zumal ich auch nebenbei noch journalistisch arbeite.
RALPH KRÜGER: „Die Kunst des Liegens“ war das erste Buch, das ich von Ihnen gelesen habe, aber es war bestimmt nicht das letzte. – Herr Brunner, ich danke Ihnen für das schöne Gespräch!
BERND BRUNNER: Ich danke Ihnen.
Autor: Bernd Brunner
Titel: „Die Kunst des Liegens – Handbuch der horizontalen Lebensform“
Gebundene Ausgabe: 167 Seiten
Verlag: Galiani, Berlin
ISBN-10: 3869710519
ISBN-13: 978-3869710518