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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Moritz Wullen u.a. (Hg.): „Von mehr als einer Welt – Die Künste der Aufklärung“

Am: | Juli 30, 2012

Das hier vorgestellte Buch ist der Katalog einer Ausstellung, die bis vor kurzem im Kulturforum Berlin stattfand. Doch es handelt sich nicht um einen gewöhnlichen Ausstellungskatalog, sondern „Von mehr als einer Welt“ geht weit über die Abbildung und Kurzbeschreibung der Exponate hinaus.

Die Aufklärung hat im 18. Jahrhundert das Weltbild und das Denken der Menschen nachhaltig verändert, und ihre Auswirkungen kann man heute noch beobachten. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften, die Loslösung von einschränkenden christlichen Dogmen, die Entstehung des bürgerlichen Standes und die umwälzenden Erkenntnisse der Philosophie führten zu einer Befreiung und „Erleuchtung“ des menschlichen Geistes.

Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ schrieb der Königsberger Immanuel Kant in seiner kleinen Schrift „Was ist Aufklärung?“ 1784, also eher rückblickend am Ende dieser faszinierenden Epoche.

Jean-Jacques Rousseau führte den Menschen zurück auf die Suche nach der eigenen Natur, Denis Diderot und Jean-Baptiste le Rond d’Alembert schufen in jahrzehntelanger Arbeit die weltberühmte „Encyclopédie“, die Literatur befreite sich aus den Fesseln der Regelpoetik und entdeckte den Autor als „zweiten Schöpfer“, und auch die Malerei löste sich aus der ideologischen Umklammerung der Kirche und strebte nach dem Ideal der „freien Schönheit“.

Es waren vor allem die Künste und hier allen voran die Bilder, die das Weltbild (sic!) der Menschen in der Aufklärung veränderten. Es war eine Zeit der Entdeckungen, des Lernens und – wie wir heute sagen würden – eines umfassenden Paradigmenwechsels.

In der Tat wurden durch die Erfindung neuer Drucktechniken und durch die massenhafte Verbreitung von Bildern der Hunger nach neuem Wissen und die optische Neugier des Publikums gestillt. Es war eine verzahnte Bewegung heraus aus dem Dunstkreis einer repetitiven Lektüre erbaulicher Schriften hin zu einem singulativen Leseverhalten, bei der die technologischen Entwicklungen die Möglichkeiten schafften, die die Neugier des Publikums sowohl erzeugten als auch befriedigen konnten.

Die Aufklärung war mit dem Aufschwung der Wissenschaften und der Entwicklung neuer Technologien eine Epoche des Aufbruchs und der Startschuss für die fast zweihundert Jahre andauernde Phase eines optimistischen Fortschrittsglaubens. Die goldene Zukunft wurde zu einem erträumten Sehnsuchtsort, und die Fülle an utopischen Romanen aus jener Zeit ist ein beredtes Zeugnis für diese Sehnsucht.

So entstammt auch das Motto dieser Ausstellung und des Katalogs – „Von mehr als einer Welt“ – dem Titel eines berühmten utopischen Romans jener Zeit von Bernard le Bovier de Fontenelle („Entretiens sur la pluralité des mondes„). Ganz im Gegensatz zur katholischen Kirche glaubte man an die Existenz mehrerer Universen und an die modernen Erkenntnisse der Astronomie. Die Erde als von Gott geschaffenes Zentrum des Weltalls hatte ihre Unantastbarkeit verloren. Das Zeitalter der Aufklärung war ein Zeitalter der Säkularisierung aller gesellschaftlichen und kulturellen Bereiche.

„Von mehr als einer Welt – Die Künste der Aufklärung“ beleuchtet die faszinierende Epoche der Aufklärung von den verschiedensten Seiten. Der vorliegende großformatige Bildband geht weit über die Erwartungen hinaus, die man an eine Ausstellungskatalog stellt. Es handelt sich um einen 360 Seiten starken und reich illustrierten Reader über die Künste der Aufklärung.

Die zahlreichen Autoren, die unter der Ägide von Moritz Wullen, dem heutigen Direktor der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin und Ausstellungsleiter dieser Ausstellung, über verschiedene Aspekte der Aufklärung schreiben, schaffen ein facettenreiches Bild jener Zeit des universellen Aufbruchs in der Kulturgeschichte des Abendlandes. Sowohl das Weltbild der Aufklärung als auch das Bild der Künste und des Menschen jener Zeit werden dem aufmerksamen Leser detailreich und verständlich nahe gebracht.

Der zweite Teil des großformatigen Bandes ist in einem kleineren Format gesetzt und mit einem dicken schwarzen Rand umgeben. Insgesamt wäre dieses kleinere Taschenbuch-Format sogar noch schöner als die große Form gewesen, auch wenn man hierdurch auf die große Darstellung der detailreichen Abbildungen verzichten müsste.

Als reich illustriertes Taschenbuch wäre „Von mehr als einer Welt“ nicht nur tragbarer, sondern auch kostengünstiger, wodurch diese herausragende Publikation einen noch breiteren Absatz finden könnte. Denn das vorliegende Buch hätte das Zeug, zu einem Standardwerk über die Kunst- und Kulturgeschichte der Aufklärung zu werden.

Aber auch als Großformat ist „Von mehr als einer Welt – Die Künste der Aufklärung“ eine ganz klare Lese- und Kaufempfehlung! Wer sich für die Ursprünge unserer Kultur und unserer Weltsicht interessiert, kommt an diesem Buch eigentlich nicht vorbei.

Autor: Moritz Wullen u.a. (Hg.)
Titel: „Von mehr als einer Welt – Die Künste der Aufklärung“
Gebundene Ausgabe: 356 Seiten
Verlag: Imhof Verlag
ISBN-10: 3865687997
ISBN-13: 978-3865687999

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