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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Island: Gastland der Frankfurter Buchmesse 2011

Am: | Oktober 10, 2011

Island ist nicht nur bekannt für seine Feuer speienden Vulkane und seine Heißwasser speienden Geysire. Es gehört auch zu den Orten mit der größten Dichte an Künstlern und vor allem Schriftstellern in der Welt.

Das ist hinlänglich bekannt, und die Gründe sind schnell in der zwar schönen, aber abweisenden natur und dem nassen Wetter dieser kleinen Insel in der Nordsee zu finden sowie in der von den Wikingern ausgehenden Sagen- und Erzählkultur gefunden.

Die isländischen Sagas entstanden in schriftlicher Form überwiegend im 13. und 14. Jahrhundert. Sie sind der Anfang und das Fundament isländischer Literatur.

Wer sich für die Ursprünge altisländischer Literatur interessiert, kann sich in einem neu übersetzten und in vier Bänden im S. Fischer-Verlag erschienenen Edition der Isländersagas auf über 3000 Seiten schlapp lesen. Diese Gemeinschaftsarbeit der besten Übersetzer hat ein längst fälliges Standardwerk geschaffe, das den Isländersagas den Platz in der Weltliteratur einräumt, der ihnen gebührt.

Wie die Isländer ticken, wusste ihr wohl bedeutendster Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, Halldór Laxness, nur allzu gut: „Ein isländischer Schriftsteller kann nicht leben, ohne beständig über die alten Bücher nachzudenken.

Er hätte auch sagen können: „… er kann nicht schreiben, ohne beständig über die alten Bücher nachzudenken“, aber Isländer sind sehr traditionsverbunden und schroff wie die Natur, die sie umgibt. Nein, ein Isländer kann ohne die alten Geschichten nicht leben. Darunter geht’s nicht.

In seinem „Volksbuch“, das er 1929 nach ausgiebigen Reisen in die große Welt schrieb, um seinen isländischen Landsleuten Benehmen beizubringen und um sie kulturell zu erziehen, schrieb Halldór Laxness über Gott und die Welt. Er zeigte den Isländern, wie es draußen in der Welt zuging und was man sich davon für die eigene Lebensweise abgucken könne. Der Hintergedanke dieser Texte war nicht zuletzt die Hoffnung, die Isländern zum Verbleib auf ihrer kargen und unterentwickelten Insel zu bewegen und die Auswanderungswelle zu stoppen.

Von Laxness’ „Volksbuch“ ist jetzt eine sehr schöne Übersetzung im Steidl-Verlag erschienen, die auch für deutsche Leser ohne isländische Verwandtschaft interessant ist. Die gesellschaftlichen Verhältnisse der 1920er Jahre in Amerika und Europa hat Halldór Laxness auf seinen vielen Reisen selbst kennen gelernt. Nun berichtet er seinen isländischen Lesern davon. Island war seinerzeit noch eine von Urbanität und Zivilisation weitgehend abgeschnittene Insel im Nordmeer.

Schon aus diesem Grund ist die Lektüre für den heutigen Leser faszinierend und bietet auch einen Einblick in diese ursprüngliche Inselkultur zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In deren Spiegel beschreibt Laxness die „große, weite Welt“. Warum er zu den ganz Großen der isländischen Literatur zählt, wird schnell klar. Seine Sprache ist bilderreich und amüsant. So wird die Lektüre zu einem unterhaltsamen Vergnügen, egal ob es sich um seine Romane, Erzählungen oder (wie hier) um Essays handelt.

Ein Kollege und Zeitgenosse von Halldór Laxness ist der „Begründer der literarischen Moderne“, wie ihn der in Berlin lebende Schriftsteller und Übersetzer Kristof Magnusson nennt: Thórbergur Thórdarson. Sein Roman „Islands Adel“ (1938) ist bei S. Fischer in der Übersetzung von Magnusson erschienen. Es ist die Geschichte eines isländischen Taugenichts und Lebenskünstlers, der zwar die originellsten Ideen hat, ein wahrer Dichter und Denker ist, der jedoch um zu überleben in einer Fischfabrik arbeiten muss. Das sind keine ungewöhnlichen Gegensätze in einer kleinen Gesellschaft wie der isländischen, in der scheinbar schon immer alles irgendwie anders war als beim Rest der Welt.

Wie man die isländische Lebenskunst lernen kann, zeigt uns die in Berlin und Island lebende Journalistin Alva Gehrmann in ihrem pünktlich zur Buchmesse-Vorbereitung erschienenen Sachbuch: „Alles ganz isi“. Mit viel Witz und einem humorigen Unterton beschriebt sie die liebevollen Eigenheiten ihrer isländischen Landsleute und zeigt dem Anfänger wie dem Fortgeschrittenen der isländischen Lebenskunst, wie die Isländer mit den Höhen und Tiefen, den Irrungen und Wirrungen ihres abwechslungsreichen Alltags umgehen. Alle Lebensbereiche werden von Gehrmann liebevoll untersucht – Familie, Natur, Beruf, Krisen, Tradition und mehr. Der Isländer ist anders, er nimmt sein leben nicht auf die leichte Schulter, aber er ist experimentierfreudig und kreativ, und am Ende ist „alles ganz isi“. Davon können wir uns eine Menge abschneiden, gerade in den Zeiten der weltweiten Krisen.

Wer jetzt endlich wissen will, welchen Charme die isländische Literatur ausmacht und warum Island das Gastland der Frankfurter Buchmesse 2011 geworden ist, kann mit Hilfe von zwei neuen Taschenbüchern einen guten Überblick bekommen. Zum einen hat der Insel-Verlag „Die schönsten Erzählungen Islands“ herausgegeben. In diesem 328 Seiten starken Band sind alle wichtigen isländischen Autoren versammelt, die für die isländische Moderne stehen. Ihre Erzählungen geben einen guten Einstieg in die isländische Literatur.

„Niemandstal – Junge Literatur aus Island“, erschienen im Deutschen Taschenbuchverlag, konzentriert sich auf die aktuelle Literaturszene Islands. Die beiden Herausgeber, Ursula Giger und Jürg Glauser, sind absolute Experten der isländischen Literatur. Die hier versammelten Texte stammen von jungen Autoren und wurden von Studenten der Skandinavistik übersetzt. Aktueller geht es kaum. Die Lektüre dieses Buches zeigt schnell, wie lebendig und vielfältig die Literaturszene dieses kleinen Eilandes ist.

Aktuelle Themen stehen im Mittelpunkt der Erzählungen, und doch wird immer wieder auch an die Erzähltradition der Isländersagas angeknüpft. So verbinden sich Tradition und Moderne, ohne dabei in einer Widersprüchlichkeit stecken zu bleiben. Vielleicht macht genau das die eigentliche Faszination aus, die wir für Islands Natur, seine Kultur und seine Menschen empfinden.


Alle vorgestellten Bücher in der Reihenfolge ihrer Besprechung:

Autor: Klaus Blödl, Andreas Vollmer, Julia Zernack
Titel: „Isländersagas“
Gebundene Ausgabe: 3384 Seiten
Verlag: Fischer (S.), Frankfurt
ISBN-10: 310007629X
ISBN-13: 978-3100076298


Autor: Halldór Laxness
Titel: „Das Volksbuch – Über Island und Gott und die Welt“
Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
Verlag: Steidl
ISBN-10: 3869302348
ISBN-13: 978-3869302348


Autor: Thórbergur Thórdarson
Titel: „Islands Adel“
Gebundene Ausgabe: 311 Seiten
Verlag: Fischer (S.), Frankfurt
ISBN-10: 310078023X
ISBN-13: 978-3100780232


Autor: Alva Gehrmann
Titel: „Alles ganz isi“
Taschenbuch: 256 Seiten
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 3423248742
ISBN-13: 978-3423248747


Autor: Soffía Audur Birgisdóttir, Gert Kreuzer, Halldór Gudmundsson
Titel: „Die schönsten Erzählungen Islands“
Taschenbuch: 327 Seiten
Verlag: Insel Verlag
ISBN-10: 3458357386
ISBN-13: 978-3458357384


Autor: Ursula Giger, Jürg Glauser (Hg.)
Titel: „Niemandstal – Junge Literatur aus Island“
Taschenbuch: 288 Seiten
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 3423140410
ISBN-13: 978-3423140416

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